Mein Landleben - Folge 23: Moderne Zeiten

05. January 2016, Harriet Heise - Mein Landleben,

 

Kleines Rätsel: Was mache ich wohl, wenn ich im Vorgarten hin und her laufe, dabei mein Handy so hoch wie möglich halte und in der Luft schwenke? Ich gebe zu, die Lösung dieses Rätsel kennt eigentlich nur meine Familie. Die Menschen hier bei mir im Dorf haben das zwar schon oft gesehen, halten mich aber deshalb wahrscheinlich nur für ein bisschen überspannt und haben keine Ahnung, was das soll. Ich sag es Ihnen:

Ich bezahle Rechnungen und versuche, Geld zu überweisen per Internet-Banking. „Im Garten?“, werden Sie da fragen. Na ja. Um meine Überweisungen zu bestätigen, brauche ich eine sogenannte TAN. Die wird mir aufs Handy geschickt. Kleiner Haken: Ich habe bei uns zu Hause so gut wie keinen Empfang. Am besten noch im Vorgarten neben der Fliederhecke. Am allerbesten allerdings auf der Feldsteinmauer vor der Einfahrt, aber wenn ich soweit raus gehe, dann schaffe ich es manchmal nicht mehr rechtzeitig bis nach oben an den Computer; die doofe TAN ist immer nur eine eingeschränkte Zeit gültig.

Und auch, wenn mich jemand auf dem Handy zu Hause anruft, schreie ich nur dreimal laut: „FESTNETZ, FESTNETZ, FESTNETZ!“ Denn es sind ausschließlich Wortfetzen zu verstehen. Ein wirkliches Gespräch ist nur auf dem guten alten Festnetz-Telefon möglich.

Das sind Probleme, die nur Menschen auf dem Land kennen. Wenn ich das in der Stadt erzähle, werde ich immer ungläubig angeguckt – etwa so, als würde ich behaupten, es zelten Außerirdische in meinem Garten. Die können sich auch nicht vorstellen, dass wir uns zu Hause keine Videos im Internet angucken können. Denn wir haben weder ein Glasfasernetz noch einen Breitband-Anschluss. Wir gehen ins Internet über einen privaten Funkanbieter. Das funktioniert oft, aber nicht immer.

Natürlich ist es meistens tot, wenn man es braucht. Und wenn ich dann bei der entsprechenden Hotline anrufe, erhalte ich immer als erstes die Antwort: „Ziehen Sie doch mal den Router aus der Steckdose und versuchen es drei Minuten später noch einmal.“ Der Mann hat keine Ahnung, wie viel Zeit ich schon oben auf dem Dachboden mit dem Router in der Hand verbracht habe. Und dabei habe ich selten tiefgehende Gedanken, die meine Persönlichkeit reifen lassen, sondern schäume meist vor Wut. Wie viel verschwendete Lebenszeit!

Dazu kommt: Ich habe zwei Teenager-Söhne. Was ist deren Lieblingsbeschäftigung? Computer spielen, am liebsten online mit Freunden. Aber bei uns im Haus gilt: Selbst wenn das Internet funktioniert, kann es eigentlich nur einer zur Zeit vernünftig nutzen. Muss ich Ihnen mehr über die Verteilungskämpfe erzählen? Wenn Sie meinen Jungs am Wochenende bei ihren Streitgesprächen zuhören, dann lernen Sie mehr über taktische Kriegsführung als aus jedem bekannten Standard-Werk.

Mein älterer Sohn bemerkte neulich gerade, dass ich seiner Ansicht nach viel zu viel arbeiten würde. Aber ich vermute mal, dass er das nicht aus Sorge um meine Gesundheit erwähnt hat, sondern eher, weil ich das Internet über Tage mit Recherchen blockiert habe.

So, und jetzt muss ich mal durchs Haus gehen und meinem Mann verbieten, Autos zu googeln oder die Kinder anweisen, das Minecraft-Spiel zu beenden. Denn sonst kann ich diese Kolumne nicht abschicken und Sie sitzen vor einer leeren Seite. Und wenn Sie sich beschweren wollen, dann sage ich nur „FESTNETZ, FESTNETZ, FESTNETZ!“