Mein Landleben - Folge 5: Mir schwant da was ...

13. November 2012, Harriet Heise - Mein Landleben, Harriet Heise

 

Seit diesem Frühjahr habe ich zwei Schwäne. Nicht, dass Sie jetzt denken, ich sei leicht übergeschnappt und hätte einen Hang zum Höheren. Nein, die beiden wurden von der Tierhilfe bei uns im Ort aufgepäppelt. Und da mein Teich etwas größer ist als das Schwimmbecken der Tierhilfe, kümmere ich mich um die Schwäne. (Zugegeben, ich habe auch ein bisschen darum gebettelt, die beiden übernehmen zu dürfen, denn ich finde Schwäne wunderschön – und sie sind vom Küchenfenster aus besser auf dem Teich zu sehen als die Enten.)

Cindy und Bert haben wir die beiden genannt. Das ist ein bisschen gewagt, denn es handelt sich definitiv nicht um Sing-, sondern um Höckerschwäne. Und wir wissen auch gar nicht, ob die Tiere männlich oder weiblich sind. Cindy fehlen einige Federn in den Schwingen, daher kann sie nicht fliegen. Aber sie ist ein ausnehmend hübsches Tier. Reinweiß, mit anmutigem Kopf und eleganten Bewegungen.

Bei Bert sieht das etwas anders aus. Er ist sehr kräftig und wirkt immer irgendwie ein bisschen schmutzig. Ihm fehlt eine Zehe am rechten Fuß, daher ist sein Gang eher schwankend und schwerfällig. Zudem hat er im Gegensatz zu Cindy eine leicht aggressive Grundhaltung. Bert wurde zur Tierhilfe gebracht, weil er immer wieder auf einer Autobahnbrücke bei Heiligenhafen stand und den Verkehr behinderte. Und er ließ sich dort auch nur sehr ungern verscheuchen.

Nun hat man mir gleich zu Anfang erklärt, dass die beiden Schwäne Wildtiere seien. Und dass ein zu enger Kontakt zwischen Mensch und Schwan nicht erwünscht sei. Ich habe den Eindruck, dass das Bert selbst nicht gesagt wurde. Denn er kam gleich in der ersten Woche mehrfach ins Haus. An warmen Tagen steht bei uns die Küchentür offen – und das sah Bert offensichtlich als Einladung. Nun ernähren sich Schwäne rein pflanzlich, dennoch sind Berts Hinterlassenschaften erstaunlich groß und auch keineswegs geruchsneutral, so dass ich ständig einen fauchenden und sehr widerwilligen Schwan aus dem Haus jagen musste. Der übrigens von kaum jemandem in meinem Haushalt besonders gemocht wurde. Mein Mann monierte die „Tretminen“ im Garten, meine Kinder waren sauer, weil er ihnen mehrfach den Zugang zum Trampolin verwehrt hatte, der Hund musste immer mit Bert um sein Futter kämpfen und die Katzen hatte er schon mehrfach mit wilden Drohgebärden verschreckt.

Und dann begannen seine Ausflüge. Als ich morgens die Kinder zum Schulbus fuhr, stand Bert zum ersten Mal mitten auf der Straße vor dem Haus. Und als ich wiederkam, war er weg. Ich fand ihn dann auf dem Teich meiner Nachbarin, die staunend davor stand. Mit Hilfe von Vollkorn-Toast (den liebt Bert!) habe ich ihn vom Teich wieder runtergelockt und mit einer Toastspur wieder auf den Weg nach Hause geleitet. Nun ist Bert ja nicht gut zu Fuß und wir mussten von Zeit zu Zeit längere Pausen machen. Viele Dorfbewohner, die zur Arbeit fuhren, sahen an dem Morgen mich und meinen Schwan auf der Straße hocken. So wussten zumindest alle, dass wir zusammen gehören. Und ich bekam immer mal Hinweise, wo er gerade zu finden war: „Ihr dicker Schwan sitzt in der Bushaltestelle.“ Von da an waren wir beide häufig zu Fuß im Dorf unterwegs. Immer auf dem Weg nach Hause, immer mit Vollkorntoast als Wegzehrung.

Dann kam der Tag, an dem Bert gar nicht mehr zu finden war. Nicht im Dorf und nicht auf den umliegenden Feldern. Und wenn Sie jetzt zufällig bei Heiligenhafen einen korpulenten Schwan mit mürrischem Gesichtsausdruck auf einer Autobahnbrücke sehen, dann grüßen Sie ihn von mir. Und sagen Sie ihm, dass ich immer Vollkorntoast für ihn habe. Und ihn ein ganz klein bisschen vermisse.