Mein Landleben - Folge 6: Immer unterwegs
08. January 2013, Harriet Heise - Mein Landleben,

In unserem ausnehmend schönen Dorf gibt es viele Häuser, Hunde und einen Fußballplatz. Dazu einen Briefkasten und eine Bushaltestelle. Alles sehr angenehm. Was es nicht gibt: Eine Gaststätte, eine Schule und einen Einkaufsladen. Das wussten wir natürlich als wir dort hingezogen sind. Was wir nicht so genau wussten: Wie viel Fahrerei das tatsächlich im Alltag bedeutet. Meine Nachbarin, die vier Kinder hat, sagt immer scherzhaft, sie sei Berufskraftfahrerin. Und daran ist auch etwas Wahres. Wer auf dem Land wohnt und auch noch Kinder hat, verbringt viel Zeit im Auto. Ein Kind muss zum Sport, das andere trifft sich mit einem Freund, dazu kommen Klavierstunden, Konfirmandenunterricht, Pfadfinder und Nachhilfe. Wenn Kollegen mich manchmal fragen, was ich denn Schönes in meiner dienstfreien Woche unternehme, antworte ich oft ehrlich: Ich fahre Auto.
Dabei hat sich die Situation bei uns im Dorf schon deutlich verbessert: Als mein Mann und ich vor 15 Jahren dorthin zogen, haben wir mit Erstaunen festgestellt, dass der Bus genau zwei Mal in der Woche fuhr. Dienstags und freitags - immer wenn Markt in der nächstgelegen Stadt war. Das erklärte auch, warum an den anderen Tagen so häufig Dorfbewohner ohne Auto an der Straße standen und meinen Mann fragten, ob er sie mitnehmen könne. Es hatte sich nämlich schnell herumgesprochen, dass er jeden Morgen pünktlich um halb acht zur Arbeit fuhr. Und so wurde er lange als inoffizielle Buslinie genutzt. Bezahlt wurde ohne Aufforderung und unregelmäßig mit Marzipankartoffeln und Likör. Bis es - auch dank unserer Hilfe - im Ort genug Kinder gab, sodass eine Schulbuslinie eingerichtet wurde. Jetzt fährt der Bus in der Woche tatsächlich dreimal täglich - und die Kinder kommen meistens zumindest ohne unsere Hilfe in die Schule.
Auch ein Problem (das meinen Mann mehr belastet als mich): Einen Land-Wagen sauber zu halten. Ständig muss man auf den engen Straßen irgendwem ausweichen und fährt durch Matsch und Modder. Oder man wird von entgegenkommenden Treckern mit allem möglichen bespritzt - da kann man schon froh sein, wenn es nur dreckig ist und nicht auch noch bestialisch stinkt. Mich stört das nicht sonderlich, aber neulich stand ein Kollege neben mir auf dem Parkplatz, guckte meinen grau-schlammigen Wagen an und fragte: „Gibt es den eigentlich auch in dunkelgrün?“ Das war wohl ein dezenter Hinweis, meinen grünen Wagen mal wieder zu waschen. Aber leider bleibt das Auto ja nicht lange sauber. Und so wurde eine Nachbarin von mir neulich von ihrer Tochter gebeten, sie nicht direkt an der Schule, sondern eine Straße weiter abzuholen - ihr sei der ständig dreckige Wagen einfach zu peinlich. Die Familie ist übrigens erst vor kurzem aus der Stadt aufs Land gezogen; das Mädchen muss sich noch ein bisschen einleben.
Besonders spannend wird die ganze Fahrerei aber erst im Winter. In den vergangenen Jahren hatten wir ja immer relativ viel Schnee. Und da wird bei uns auch geräumt. Aber wenn die Schneefräse sich einmal durch die kleinen Straßen gekämpft hat, türmt sich der Schnee rechts und links meterhoch - man fährt also durch eine Art Schneetunnel. Das sieht sehr unterhaltsam aus, aber es darf einem auf keinen Fall jemand entgegenkommen. Denn zwei Autos passen nicht aneinander vorbei. Ein Fahrer muss zwangsläufig bis zur nächsten Kreuzung oder Einfahrt rückwärts zurückfahren. Und da hatte mein Mann im vergangenen Winter die schöne Begegnung mit einer älteren Dame. Hinter ihm lag ein guter Kilometer Straße durch die Felder, sie musste nur etwa 50 Meter bis zur nächsten Einfahrt zurücksetzen. Aber sie weigerte sich beharrlich, das zu tun. Nach einem langen Gespräch im Schnee kam heraus, dass sie seit Jahren nicht mehr rückwärts gefahren war und sich das nicht zutraute. So hat dann schließlich mein Mann erst ihr Auto in die Einfahrt zurückgesetzt. Und ist dann mit seinem Wagen vorbei gefahren. Solche Einigungen können langwierig sein, manchmal auch sehr zur Freude der Kinder. Als ich vor einem Jahr auf dem Weg zur Schule in einem solchen Schneetunnel einem recht aggressiven Lastwagenfahrer gegenüber stand und wir uns auch nicht recht einigen konnten, wer nun zurückfahren sollte, riefen die Jungs aus dem Auto: „Mama, streite Dich ruhig noch ein bisschen - dann verpassen wir die erste Stunde!“ Darüber musste sogar der Lastwagenfahrer lachen. Zurückgefahren ist er übrigens trotzdem nicht.